Ist alles vergeblich?
Die Welt steht Kopf und was uns dabei besonders auslaugt, ist dieses Gefühl: Festgesteckt harren wir aus, eine miese Nachricht jagt die nächste. Es scheint vergeblich; im besten Fall eine sisyphosartige Situation, in der wir uns selbst aber nicht glücklich vorstellen können. Wie sollen wir denn aus diesem Schlamassel überhaupt jemals wieder rauskommen? Wann kommt sie denn endlich, diese neue Zeit? Vielleicht helfen wir ja mit unserer Stimme bei der Europawahl? Einen guten Nebeneffekt hat es auch, dass ich mir dieses Jahr wieder keine Flugreise gönne und daher ins schöne Brandenburg fahre. Oder muss man dann doch weiter oben ansetzen und die Deutsche Wohnen & Co. enteignen? Aber wenn wir schon dabei sind, könnten wir gleich bei den Sylter Schnöden weitermachen und erst aufhören, wenn X wieder Twitter wird und Elon Musk dann als letzte Konsequenz seiner neoliberalen Freiheitsliebe mutterseelenallein auf dem Mars versauert. Ich jedenfalls habe vorhin voller Hoffnung meine Wahl in den Briefkasten geworfen. Damit zeige ich: Ich habe noch nicht aufgegeben. Ich träume von einer besseren Welt.
Sind Träume zu cheesy?
Dreams of a better life. So wollte Ernst Bloch ursprünglich sein Werk über die Hoffnung nennen, an dem er im US-amerikanischen Exil während des Zweiten Weltkriegs saß. Dieser Einstieg ist nicht zufällig gewählt, denn Träume sind die Grundlage seiner Theorie: Dass wir überhaupt träumen, zeigt, dass wir ein utopisches Bewusstsein haben und über zukünftige Möglichkeiten nachdenken können. Besonders Tagträume sind Ausdruck des Noch-Nicht-Bewussten und geben Hinweise auf die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen. Durch diese Träume entwickelt sich Hoffnung als aktives Prinzip, das uns motiviert, für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Das Prinzip Hoffnung – ein recht prägnanter Titel für eine Zeit, in der Faschismus regiert und der Holocaust zum deutschen Alltag gehört. Es fühlt sich zuweilen nach Hybris an, im Angesicht des Bösen vom Guten zu sprechen. Als würden wir uns ein Paar ziemlich großer Scheuklappen aufsetzen: Hauptsache mir geht es gut. Die Story allerdings, nach der der Mensch im Grunde ziemlich schlecht und egoistisch ist – und mit ihm die Welt – hat eine Tradition, der wir spätestens seit Rutger Bregmans Im Grunde gut nicht mehr glauben sollten. Außerdem: Haben wir denn eine Wahl? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und war diese Hoffnung etwa einer der kraftvollen Momente der Rede von Martin Luther King, die er rund zwanzig Jahre nach Das Prinzip Hoffnung vor mehr als 250.000 Menschen hielt? Die Hoffnung als intrinsische Motivation, ohne die King niemals überhaupt diese Rede gehalten hätte – und der Traum als machtvolle rhetorische Figur der notwendigen Veränderung, die alle verstehen? Gerade Kings erste Dream-Rede im Jahr 1960 geht noch deutlich auf die Spannung zwischen Traum und Wirklichkeit ein; Amerika habe eine schizophrene Persönlichkeit entwickelt im Angesicht einer Nation, die die Gleichheit aller Menschen betone. Als King dann drei Jahre später seine berühmte Rede in Washington hielt, wurde zunächst diskutiert, ob seine Dream-Rhetorik überhaupt Verwendung finden sollte. Noch am Vorabend riet sein Berater Wyatt Walker King davon ab, sie zu benutzen. Zu cheesy? Als King mit seiner Rede begann, war das Publikum in der heißen Menge nicht allzu euphorisch. Dann der berühmte Zwischenruf der Gospelsängerin Mahalia Jackson: “Erzähl ihnen von deinem Traum, Martin”, worauf King sein Manuskript weg legte, und mit seiner Tagtraum-Rede wahlweise zum Helden oder zum Demagogen wurde.
Hoffnung, was ist das eigentlich?
Die Hoffnung geht über das bloße Träumen hinaus: Sie muss auch artikuliert werden. In Reden und im Denken Einzug finden. Sie muss von Menschen an Menschen getragen werden – und sich zuletzt in konkreten Utopien niederschlagen. Bei Ernst Bloch ist die Hoffnung eine Kraft, ein konkretes Prinzip, das die Welt verändert. Nochmal: Wann kommt sie denn endlich, diese Veränderung? Vielleicht würde Bloch den Zustand unserer Zeit auch als “Noch-Nicht-Sein” beschreiben, in der wir mit Tagträumen die künftigen Utopien entwerfen? Eine Zeit, in der wir noch träumen, statt aktiv zu handeln? Jüngst hat etwa Harald Welzer die allseits so beliebten Post-Begriffe als Symptom unseres Verharrens im Jetzt auf den Tisch gelegt: Dass wir unsere Zeit mit postkapitalistisch, postkolonialistisch, postfossil beschreiben, sei Zeichen für die Theorielosigkeit der Gegenwart und nicht zuletzt Ausdruck unserer Hilflosigkeit. Welzer fordert sogleich: Um richtige Veränderung zu bestreiten, dürfen wir in unserem Denken und Handeln nicht mehr genügsam sein; nicht mehr bequem von Haltung sprechen, anstatt echte Politik zu machen. Bloch aber geht hier den entscheidenden Schritt weiter und verbindet die Theorie mit einem utopischen Impuls, betont die Hoffnung und Zukunftsmöglichkeiten. Wir brauchen nicht nur das Wissen um ökonomische Ungerechtigkeiten und die fertigen Ziele, um diese aufzulösen. Sondern vor allem auch etwas in uns drin, um weiter voran zu schreiten. War Das Prinzip Hoffnung vielleicht sogar das, was Marx meinte, wenn er die Welt nicht nur interpretieren, sondern sie verändern wollte? Ist es vielleicht die Hoffnung, die uns fehlt?
A long walk to freedom
Wir fühlen uns doch jeden Tag, als würden wir gegen eine Wand reden! Genau das spielt der rechten Rhetorik des Untergangs natürlich in die Karten. Die demokratischen Grundsätze sollen ausgelaugt werden, bis sie müde sind. Sie sollen die Hoffnung verlieren und alles soll vergeblich erscheinen. Trost, Hoffnung und Visionen finden wir sodann immer wieder in der Kultur, so Ernst Bloch. Nelson Mandela ist einer der Menschen, die das Festhalten an der Hoffnung auf besonders ikonische Weise verkörpern. Da steckte er also fest auf dieser schrecklichen Gefängnisinsel Robben Island – und las. Ganze 18 Jahre war Mandela gefangen auf der Insel, bevor er der erste Schwarze Präsident Südafrikas wurde. Der Titel seiner Biografie A Long Walk to Freedom zeigt uns sogleich, wie schwer es ist, die Hoffnung bis zum Ziel nicht zu verlieren. Die Zeit im Gefängnis war kein Spaziergang, aber Mandela gab die Hoffnung niemals auf.
Jetzt aber mal konkret, bitte!
Ganz so cheesy ist es ja dann aber wirklich nicht. Nicht zu unrecht können wir gerade Ernst Bloch dafür kritisieren, dass er die Komplexität und Schwierigkeit der Veränderung bestehender Machtstrukturen unterschätzt. Die Überwindung der Apartheid in Südafrika bestand eben nicht nur aus Bücherlesen. Sie war zu Teilen äußerst gewaltvoll und blutig. Und eben doch lässt sich eine gewisse Veränderungskraft nicht leugnen. Eine, die wir hier und jetzt vielleicht auch brauchen könnten. Es hat sich in diesem Kommentar bereits angekündigt: Grundlage für eine fundierte Veränderungskraft ist Kultur und mit ihr eng verwoben die Bildung. Nur mit ihrer Hilfe können wir die Welt begreifen, ein Spannungsverhältnis zu dem So-soll-es-in-der-Zukunft-sein herstellen. Kultur und Bildung nehmen uns auch die Angst vor Veränderung und geben uns die Sicherheit, aufzustehen und das Richtige zu tun. Bleiben wir noch kurz bei Nelson Mandela, um mein Pamphlet für die Bildung deutlich zu machen: Natürlich war das auf Robben Island keine unbegrenzte Bibliothek, die den Gefängnisinsassen zur Verfügung stand. Die Haftbedingungen waren äußerst brutal, die Bücher wurden hart zensiert. Keine Nachrichten, nichts mit “rot” und “Krieg” im Titel. Die Zensoren allerdings waren nicht besonders belesen. Als die Insassen den Economist anfragten, wurde ihnen gewährt. Man glaubte, ein Wirtschaftsmagazin habe keine Nachrichten und sowieso keine besondere Sprengkraft. Allein der Titel ließ die Wärter entscheiden, welches Buch oder Magazin gelesen werden durfte. Es könnte also sogar umgekehrt funktionieren: Bildung ist Veränderungskraft – Unbildung spielt den Akteuren schlechte Karten aus. Sie bedeutet den Stillstand, den wir so sehr satt haben. Also. Damit das mit der Hoffnung noch etwas wird: Ab in die Bücherei, ins Museum, aufs Konzert, in den Club mit dir, dir und dir!