Stinkt Pink?

Ein pinkrotes Quadrat in der Farbe Viva Magenta. Im Quadrat eine weiße Schrift: Viva Magenta. #BE3455

Kürzlich releaste Pantone die Farbe des Jahres 2023: Viva Magenta. Sie soll für Widerstandsfähigkeit, Optimismus und Kreativität stehen.

Viva Magenta: Ein Rot mit leicht pinkem Touch.

Farbpsychologin und Designerin Karen Haller stellt indes passend dazu fest: Gerade Frauen haben ein Problem damit, Pink als Farbe (für ihr Business) zu nutzen.

Wem Pink zu krass ist, dem empfiehlt Haller daher Magenta als Übergangsfarbe. 

Trauen wir uns Pink nicht zu? 

Sind wir vielleicht immerhin auf dem Weg zu selbstbewusstem Pink? Als ich mich für pinke Akzente für meine Webseite entschieden habe, gab es jedenfalls viel Aufschrei in meinem Umfeld. Farben beeinflussen schließlich Emotionen und haben dadurch eine Tragkraft fürs Branding. Aber natürlich geht es darüber hinaus: Farben haben eine kulturelle Bedeutung. Wie wir eine Farbe wahrnehmen, ist dabei nicht in Stein gemeißelt. Ich war überrascht, wie sehr Pink polarisiert. Zeit, die Lupe rauszuholen. Was hat es mit der Farbe Pink auf sich?

Süßer Erdbeerlipgloss oder doch bittere Realität?

Pink ist die Farbe der Mädchenzimmer: rosa Puppe, rosa Haargummis, rosa Schuhe. Pink stink nicht. Pink duftet: nach rosafarbenem Erdbeerlipgloss. Schon bei den berühmt-berüchtigten Gender-Reveals auf Instagram gehts nur um Blau oder Rosa. Spielzeug für Mädchen: Das sind Sachen, die sich um Kochen, Backen, Mitgefühl und Sanftheit drehen. Spielsachen für Jungen sind blau und grün, technisch, mathematisch, wissenschaftlich. Wir haben das alle schon beobachtet. Es nervt, weil es eine richtig mühselige Diskussion ist.

Was aber macht das mit einer Farbe, genau genommen mit der Farbe Pink? Sie könnte einem fast leid tun, in dieses stereotypische Prinzessinnenreich abgestellt zu werden.

Das pinke Problem brachte Lena Grehl im Missy Magazin kompakt auf den Punkt:

“Der Diskurs um die Farbe Rosa ist klassistisch (siehe Cindy aus Marzahn), sexistisch („Pink Tax“ heißt das Phänomen, bei dem Produkte für Frauen teurer verkauft werden als jene für Männer) und ableistisch geprägt (wenn etwa Träger*innen von Rosa Infantilität und geistige Unreife unterstellt wird).”

Puh, ganz schön viele -Ismen, die da in einem Satz rausgehauen werden!

Im Grunde geht es darum: Pink wird verbunden mit prekär lebenden Frauen. Der pinke Rasierer ist teurer als der blaue und wer ein rosa Logo hat, gilt als dämlich und naiv.

Eine Farbe im Wandel der Zeit: Vom Fußballtrikot zur Farbe der Erniedrigung

Und nun die große Überraschung: Rosa war gar nicht immer die Farbe der Mädchen und die der mädchenhaften Eigenschaften. Rot und Rosa (als das kleine Rot) erinnern ja vor allem an Blut, also Blutvergießen und Krieg. So wurden in den 1920er Jahren vormals die taffen, kampfbereiten Jungen in rot und rosa gekleidet. 1897 trugen die Herren von Juventus Turin rosa Trikots.

Und heute? Die Herren Neuer, Hummels und Musiala laufen im rosafarbenen Trikot aufs Spielfeld – und es gibt keinen Aufschrei. Können wir uns das vorstellen? Schön wärs jedenfalls! 

Aber zurück zu den Mädels: Die kleidete man damals lieber in blau, denn es erinnerte an die Jungfrau Maria. Auch damals ging es bei der blau-rosa-Verteilung also um das Geschlecht. Erst mit dem Aufkommen der Matrosenkleidung und der Blaumänner Ende des 19. Jahrhunderts kehrte sich die Farbzuschreibung um. Blau wurde männlich, rosa meinte fortan fehlende Männlichkeit, also dann eben weiblich. Effi in Fontanes Roman (1896) trug den blauen, jungenhaften Matrosenanzug: Denn als Teenagerin war sie wild und frei, als Erwachsene unangepasst. So gar nicht mädchenhaft! 

Es ist kein Spaß!

Aber es wird ernst. Die Farbe Pink ist ein Attribut von marginalisierten Gruppen. Rosa steht auch für Perversion. In deutschen Konzentrationslagern wurden homosexuelle Häftlinge mit dem rosa Winkel markiert. Heute tragen Häftlinge in US-Gefängnissen in South Carolina, die sich (sexuell) auffällig verhalten, rosa Anzüge – in manchen Gefängnissen werden die rosa Jumpsuits gleich von Beginn an als bewusste Erniedrigung eingesetzt. 

Ist Pink also wirklich nur eine Frage der Mädchenzimmer? Ich glaube nicht.

Die süße Befreiung

Pink ist in der Sackgasse: Wer sie sich zu eigen macht, ist schwach, weiblich, arm, dumm, naiv, pervers – oder alles zusammen. Aber wo eine Sackgasse ist, gibt es ja vielleicht trotzdem noch einen Schleichweg aus dem Dilemma. Und welches Jahrzehnt ist dafür besser geeignet als das rosa Jahrzehnt schlechthin – die Nullerjahre?

Da waren etwa plötzlich diese weißen Tops mit rosa-glitzerndem Bitch-Schriftzug. Und die vor allem in pink gehaltene Juicy Couture Collection von Paris Hilton. Paris Hilton überhaupt.

Erinnert ihr euch Marissa und Summer mit den vielen rosa Tops in The O.C.? Oder an Elle Woods, Heldin in Natürlich Blond? Die angehende Anwältin stand für neues Selbstbewusstsein – und dieses Selbstbewusstsein war pink! Elle Woods kämpfte gegen eine Welt, die sie nicht ernst nahm und sie als dümmliche, naive Prinzessin abstempelte. Ihre Antwort auf die pinke Sackgasse: Elle Woods machte die Farbe Pink zu ihrer Marke.

Wir lernten: Pink sagt nichts über Kompetenzen, Intelligenz, Talent oder Charakter aus. Pink sein – und weiblich sein – ist super!

Hyperfeminity oder Pick-me-girl?

Hyperfeminity nennt es sich, wenn weibliche Attribute gefeiert statt degradiert werden.

Die Botschaft: Ich darf weiblich sein. Denn weiblich sein ist genauso cool und berechtigt wie männlich sein.

Mhmhm. Muss denn Weiblichkeit so sehr betont werden? Wie wichtig ist denn das Geschlecht überhaupt? Der Hyperfeminity-Ansatz ist zumeist eben ziemlich binär gedacht, reduziert also auf nur zwei Geschlechter.

Im Gegensatz zu Hyperfeminity grenzen sich entsprechend die Pick-Me-Girls bewusst von allem Weiblichen ab, um in der Männerwelt Respekt zu erlangen. Die Debatte um die misogynen Eigenschaften der Pick-Me-Girls ist besonders seit 2019 auf TikTok aktiv. 

Typische Sätze von Pick-Me-Girls könnten etwa sein:

  • Nimm mich, denn ich bin anders als alle anderen Frauen. 
  • Ich habe nur Jungs als Freunde, mit Mädchen ist immer so viel Drama.
  • She wears High Heels, I wear Sneakers (Taylor Swift, You Belong with me)
  • Seit wann trägst du denn Pink, wir sind doch keine Tussis? 

Sexismus in der Sackgasse

Versuche, Sexismus abzuschaffen, scheitern oft.

Der Konflikt zwischen den Schwestern Kat und Bianca in Zehn Dinge, die ich an dir hasse bringt es herrlich amüsant auf den Punkt. Kat, die rebellische, große Schwester, will nichts von Jungs wissen. Ihre kleine Schwester Bianca hat dagegen nur ein Ziel: Ein Date mit dem größten Chauvi der Schule. Als der verwegene Heath Ledger auftaucht, schmilz Kats Herz vielleicht doch?

Eine wirkliche Befreiung findet aber – wir sind hier auch ganz am Ende der 1990er verhaftet – nicht statt. Auch Kat ist misogyn unterwegs, wertet andere Frauen und ihre eigene Schwester ständig ab. Aber Moment mal, Kat war doch die feministische Heldin schlechthin!?

Ja, genau! Typisch für sowohl Hyperfeminity als auch für Pick-Me-Girls ist ja gerade ein feministischer Ansatz.

Der Versuch, eine Antwort auf Misogynie zu finden. Was als Versuch der Kritik von Sexismus beginnt, endet oftmals in der Sexismus-Falle. Dieses Phänomen ist auch in The O.C. zu beobachten: Die beiden weiblichen Hauptrollen Marissa und Summer sind zwar beste Freundinnen, die sich jederzeit unterstützen. Gemessen am Milieu, in dem sie sich bewegen, könnte man sie sogar als freiheitlich bezeichnen. Auch sie lassen aber kaum eine Chance aus, andere Frauen zu diskreditieren.

Ob all diese Entwicklungen in den Nullerjahren nun gelungene Momente des Feminismus waren? Es kann gut sein, dass diese Trends zumindest die ersten zaghaften Schritte waren, um das Frausein wieder zurückzuerobern und positiv zu besetzen – und zwar mit Pink!

Reclaim Pink! Aneignung und ihre Tücken

In den Zehnerjahren wurde die Farbe Pink politisch. Etwa mit der Organisation Pinkstinks, die ihre Wurzeln 2008 mit einem Social Media Aufruf in London hatte und 2012 als NGO in Hamburg ansässig wurde. 

Stinkt Pink etwa? Klingt nach typischem Pick-Me-Girl-Ausspruch! Die Organisation macht derweil klar: Es geht

“Nicht [darum], um irgendwem den Spaß an Pink, Backen, Verschönern, Plüschtieren oder Prinzessinnenkronen zu verderben. Sondern um mehr zu fordern: Matsch, Technik, räumliches Denken und Raum für Mädchen, die laut und wild sein wollen. Rosa Ponys für Jungen, die kuscheln und sich kümmern möchten: Auch als Erwachsene.”

Die Organisation hat sich nicht nur der Farbe Pink gewidmet, sondern ist auch auf anderen Gebieten aktiv gegen Sexismus. So schaut Pinkstinks seit 2013 der Sendung Germanys Next Top Models auf die Finger und vergibt seit 2018 mit dem Pinken Pudel den ersten Positivpreis für progressive Werbung.

Dennoch, gerade der Name der Organisation hat viel Kritik einstecken müssen. So bloggt Autorin Heng etwa bei Mädchenmannschaft:

“Wenn Pinkstinks wirklich vorhätte, Femininität aufzuwerten – und zwar für alle Geschlechter –, dann würden sie nicht diesen Namen wählen. Stellen wir uns bitte dieses Szenario vor: Kind spaziert auf der Straße herum und liest auf einem Sticker “Pinkstinks”. Was passiert nun? Geht das Kind an sein iMac und liest sich die Homepage der Kampagne durch? Oder internalisiert es diese problematische Implikation/Message und reproduziert diese im Alltag, zum Beispiel in Form von Tussi-Bashing an der Schule?”

Pinke Pussyhats gegen Sexismus

Kaum ein anderes Ereignis prägte die zweite Hälfte der Zehnerjahre wie die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA und damit das Erstarken konservativer Denke. Die berühmten pinken Pussyhats lehnten sich mit ihren pinken Hüten beim Women’s March 2017 gegen Sexismus und Trumps Motto Grab’em by the pussy auf.

Ein Meer aus selbstgestrickten pinken Hüten? Bitte mehr davon, sagte man zumindest im Jahr 2017! Pink hat den reinen Konsum verlassen: die pinken Pussy-Hüte strickt man entweder selbst, oder man bekommt einen über die Organisation geschenkt. Auch in Deutschland sprang man auf den Zug auf und strickte, was das Zeug hält. Die pinken Pussyhats haben es aber auch nicht leicht; die Kritik an ihnen ist eigentlich einleuchtend: Der Fokus auf Weiblichkeit und das weibliche Geschlechtsorgan – die Pussy, also Vagina – schließt etwa trans-Frauen aus, die keine Vagina haben und diskriminiert trans-Männer, die sich aufgrund ihrer Vagina entfremdet fühlen. Inklusion kann nur dann Inklusion sein, wenn alle mitgedacht werden. Auch hier schleicht sich der Verdacht ein: Pink ist ein binäres Problem.

Und heute? Ist Viva Magenta das neue Pink?

Puh, ganz schön viel Diskussion, Debatte und Diskurs! Und ich finde, man sollte sich dieser Herausforderung auch stellen. Pink ist eine schwierige Farbe. Es ist verständlich, dass die Menschen im Business, im Branding und privat einen Bogen um die Farbe Pink machen. Solange die Farbe mit Abwertung besetzt wird, kann ein freier und problemloser Umgang mit Pink ja gar nicht möglich sein. Schauen wir auf all das Leid, das die schwierige Besetzung von Pink mit sich bringt: Wäre es nicht sogar ignorant, Pink zur Farbe des Jahres zu ernennen? Wenn ich Pink als Markenfarbe benutze, dann bin ich nicht total frei von all dem miesen Zeug, was im Namen der Farbe so angestellt wird.

Pink. Trotz alledem!

Als Texterin widme ich mich zu einem gewissen Grad auch immer gesellschaftlich relevanten Themen. Und keine andere Farbe steht für gesellschaftliche Relevanz wie die Farbe Pink. Eins der brennenden Themen der Zeit ist das Ende des Patriarchats, denn es tut uns allen nicht gut. Auch deshalb schreibe ich gern über Feminismus.

Ich wage den Blick in komplizierte, komplexe oder gar chaotische Zusammenhänge. Ich glaube an ein gutes Morgen. Wie Johanna Dohnal es auf den Punkt brachte:

“Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‚weibliche Zukunft'. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn. “
Pink ist die Farbe der Freiheit. Aber Freiheit kann nur echte Freiheit sein, wenn wir sie solidarisch gestalten.
Die mutige Rebellin in mir flüstert: Nimm Pink, trotz alledem! 

Und schließlich forderte es auch der Berliner Blog Mit Vergnügen: starkes Rosa statt sicheres Schwarz! Eine kühne Forderung an alle Berliner*innen –  mich eingeschlossen – die heißgeliebte Lieblingsfarbe Schwarz einmal im Schrank hängen zu lassen und mit Pink und Rosa neues Terrain zu erkunden.

Ich bin bereit! Und du?
Anja Mayer-Cilliers
February 21, 2023